
Die geplante Akquisition von Syngenta durch ChemChina führt uns vor Augen, dass bei dieser potenziellen Übernahme ganz andere Mechanismen spielen, als bei Unternehmungsakquisitionen in einem marktwirtschaftlichen System sonst üblich sind. Dort bieten bisherige Eigentümer ihre Aktien auf einem ‚Markt für Unternehmungen‘ an, und die Interessenten (z.B. Konkurrenten oder andere Investoren) unterbreiten ihre Angebote basierend auf ihren ökonomischen Erwartungen und Überlegungen. Auf diesem Hintergrund hat sich ein zeitgemässes Verständnis von Akquisitionen entwickelt, das die Nutzen und Risiken aller beteiligten und betroffenen Stakeholder ins Zentrum stellt (vgl. Sachs & Rühli 2011).
Im Falle von China als Investor stehen solche marktlichen Überlegungen nicht im Vordergrund. China hat seit 2014 Richtlinien in Kraft gesetzt, die den Erwerb ausländischer Firmen durch einheimische Unternehmungen massiv erleichtern. Zudem hat der Staat für ausländische Akquisitionen grosse finanzielle Mittel bereitgestellt. Damit können sich chinesische Firmen in Zukunft das für sie relevante Wissen und Kernkompetenzen durch Akquisitionen verfügbar machen und damit auch ihre Position im internationalen Wettbewerb stärken, ohne dass dafür gängige marktliche Mechanismen entscheidend sind. Es liegen im Syngenta Fall also ganz andere Rahmenbedingungen vor als bei sonst üblichen Firmenakquisitionen: ChemChina ist eine Unternehmung in Staatsbesitz offenbar mit einem industriepolitischen Zusatzauftrag, Wissen und nachhaltige Kernkompetenzen für die gesamte chinesische Wirtschaft zu erwerben.
Das Einfliessen von staatlichem Kapital in solchem Umfang bedeutet aber auch, dass nicht mehr nur Unternehmungen miteinander im Wettbewerb stehen, sondern ganze wirtschaftliche Ordnungssysteme. Monsanto, bis anhin Branchenführer, reagierte folglich ebenfalls auf der übergeordneten Ebene des Ordnungssystems und unterbreitet nicht etwa ein wirtschaftlich attraktiveres Angebot als ChemChina, sondern lobbyiert massiv beim amerikanischen Komitee für Auslandsinvestitionen (CFIUS), das diesen Deal offenbar auf politischer Ebene behindern könnte.
Dass Wirtschaft und Politik eng miteinander verzahnt sind, ist nichts Neues. Bemerkenswert ist aber, dass im Staatskapitalismus von China, ein einzelner Stakeholder das gesamte, sonst marktwirtschaftlich geprägte Stakeholdernetz dominieren und steuern kann. Dies steht im Gegensatz zu den Mechanismen des privatwirtschaftlichen Kapitalismus, in welchem kein Stakeholder a priori in vergleichbarem Ausmasse den übrigen Stakeholdern hierarchisch übergeordnet ist. Forschungen über das spezifische Stakeholder Management im chinesischen Kontext thematisieren diesen Steuerungseffekt des gesamten Stakeholdernetzwerk durch die zentrale Regierung bereits in anderen Bereichen wie etwa bei den Arbeitsbedingungen und die damit verbundenen Auswirkungen (vgl. Meier 2014, 227 ff).
Es wird nun wesentlich sein, dass künftig diese Erkenntnisse der unterschiedlichen Mechanismen von Stakeholdernetzwerken auch in der Praxis des globalen Wettbewerbs Eingang finden, damit Unternehmungen im privatwirtschaftlichen Kontext bei Akquisitionen nicht benachteiligt werden und ein undurchsichtiger Machtkampf auf politischer Ebene um Wissen und Kernkompetenzen von Unternehmungen hinter den Kulissen verhindert werden kann. Die Reaktion in der Schweiz sollte sich dabei nicht bloss darauf beschränken, dass Schweizer Firmen diese neue Situation ohne wirtschaftspolitische Massnahmen zu bewältigen haben. Der Bundesrat und wesentliche Stakeholder wie etwa die Arbeitgeber und Arbeitnehmer von betroffenen Branchen sind aufgerufen, dazu gemeinsam geeignete Massnahmen zu entwickeln.
Sybille Sachs
Meier, C. (2014). The effectiveness of transnational standards initiatives (TSI) in the apparel industry: An empirical examination of two cases. Bern, Schweiz: Haupt Verlag. Sachs, S., & Rühli, E. (2011). Stakeholder matters: A new paradigm for strategy in society. Cambridge, New York: Cambridge University Press.