
In der Automobilbranche jagt einen Skandal den nächsten. Nicht nur werden immer mehr Automobilhersteller des Betruges überführt (Stichwort Abgasskandal), sondern auch Unlauterkeiten im Wettbewerb (Stichwort Deutschlands mutmassliches Autokartell) aufgedeckt. Die Meldungen lassen mich aufgrund deren Kadenz mittlerweile schon beinahe kalt. Ich muss mir ein Empörtsein beinahe aktiv abringen. Aber wie John Oliver in seiner Latenightshow damals nach der Wahl von Trump riet, rezitiere ich auch hierfür mantramässig den Satz «this is not normal». Es darf nicht sein, dass sich ein resigniertes «ist halt einfach so» bei mir einschleicht.
Erich Fromm “Wir sind entfremdet”
Denn eigentlich schreibe ich gerade mit Sybille Sachs und Edwin Rühli an einer wissenschaftlichen Publikation zum Thema Liebe im Unternehmen. Darin möchten wir Einsichten des in den 1950/60er Jahren waltenden Psychoanalytikers und Philosophen Erich Fromm für die Stakeholdertheorie gewinnen und anwenden. Fromm dekonstruiert das damalige (und wohl auch heutige) Wirtschaft- und Gesellschaftssystem und diagnostiziert eine Entfremdung des Menschen aufgrund eines materialistisch-orientierten, effizienzgetriebenen Ideals. Er beschreibt eine Entfremdung des Menschen von seiner Arbeit, von seinen Mitmenschen und von sich selber.
Liebe als Lösung
Als Lösung offeriert Fromm die «reife Liebe». In seinem Buch «die Kunst des Liebens» schreibt er «…die reife Liebe [ist] eine Vereinigung, bei der die eigene Integrität und Individualität bewahrt bleibt. Liebe ist eine aktive Kraft im Menschen. Sie ist eine Kraft, welche die Wände niederreisst, die den Menschen von seinem Mitmenschen trennen, eine Kraft, die ihn mit anderen vereinigt.» Dies hat für ihn nichts mit verklärter Romantik zu tun, sondern mit einer Haltung sich selber und der Welt gegenüber. Diese Haltung der Verbundenheit entspreche zwar unserem inneren Wesen, müsse aber bewusstgemacht, trainiert und kultiviert werden.
This is not normal – but…
Meiner Einschätzung nach fehlt diese Grundhaltung in vielen Bereichen der Wirtschaft und macht Wirtschaftsskandale erst möglich. Auch die Wirtschaftswissenschaften leisten einen Beitrag dazu, indem sie ‘Liebe in Unternehmen’ thematisch links liegen lassen. Antonio Argandoña, ein Forscher aus dem Bereich Business & Society, gibt dafür zwei Gründe an: «Der erste Grund ist ein falsches Verständnis des Wesens der Liebe. Es wird als Gefühl oder Emotion verstanden, statt als eine Tugend, welche Menschen in all ihren Beziehungen zu anderen leben müssen. Der zweite Grund ist ein falsches Verständnis von sozialen Beziehungen in Unternehmen, welche auf vertraglich geregelte Beziehungen reduziert werden und oft als kalt und distanziert, wenn nicht sogar konträr zur Liebe gedacht werden. Als ob man nicht wollen würde was für andere gut ist, weil dies für die eigenen Interessen schädlich sein könnte.«
Das Mantra «this is not normal» möchte ich nun ergänzen. Neu wiederhole ich: «This is not normal – but love should be» «This is not normal – but love should be» «This is not normal – but love should be».
Fromm, E. (1956/2015). Die Kunst des Liebens. Ullstein Verlag: München. S. 32
Argandoña, A. (2011). Beyond contracts: Love in firms. Journal of Business Ethics Frei übersetzt aus dem Englischen
Ein sehr erfolgreicher Unternehmer propagierte einst MMM (Man muss Menschen mögen) als Kernkompetenz von Führungskräften.
Danke und Bravo Vanessa: Das “Nichtwegsehen” beginnt mit dem Teasern.
Vielen Dank, Herr Vogler! Dazu noch einen eben entdeckten NZZ Artike: https://www.nzz.ch/meinung/mysterium-fuehrung-entfremdung-in-den-chefetagen-ld.142346