
Im Oktober 2016 haben über 80 Menschenrechts- und andere Nichtregierungsorganisationen die sogenannte Konzernverantwortungsinitiative eingereicht. Die Initianten fordern damit verbindliche Normen für Schweizer multinationale Konzerne, um Menschenrechtsverletzung und Umweltsünden durch Tochtergesellschaften im Ausland zu unterbinden. Mit dieser Initiative betritt ein umstrittenes Anliegen der Corporate Social Responsibility (CSR)-Forschung die Schweizer Polit-Arena. In diesem Forschungsfeld weitete sich seit den 1990er-Jahren der CSR-Anwendungsbereich von Fragen zu Arbeitnehmerrechten bis hin zu Menschenrechts- und Nachhaltigkeitsfragen aus. Mit diesem Blogbeitrag möchte ich weder auf die Pro– noch auf die Kontra-Argumente eingehen. Viel mehr argumentiere ich, dass die drängendste Frage für CSR die Gestaltung des digitalen Wandels im Inland sein sollte. Kann CSR Teil der Lösung sein, die digitale Herausforderung der Schweizer Wirtschaft zu meistern?
Schreckgespenst “Digitalisierung”?
Mit einer Studie der Hochschule Luzern ist kürzlich das Schreckgespenst „Digitalisierung“ in unsere Zeitungslandschaft zurückgekehrt: So soll ein schmerzhafter Strukturwandel insbesondere die ländlichen Gebiete in der Schweiz treffen. Auch wenn die Zahlen mit Vorsicht zu geniessen sind, werden Algorithmen, künstliche Intelligenz und Roboter unser Leben einschneidend verändern – mit unterschiedlichen Konsequenzen. Mir drängen sich die folgenden Themen und Fragen auf:
Souveränität der Konsumenten
Digitale Technologien sind Disziplinierungsinstrumente. Letztens las ich treffend, dass mir Google nicht Fragen beantwortet, sondern sagt, was ich als nächstes tun soll. Inwiefern kann die drohende vollständige Unterwanderung von Autonomie und Mündigkeit von Konsumenten abgewendet werden? Was ist zu tun, damit wir nicht von digitalen Grosskonzernen (Alphabet, Amazon, Microsoft) abhängig werden?
Siegeszug der Projektmenschen
Mit der Digitalisierung könnte der projektbasierte Geist des Kapitalismus, der seit den Ende der 1980er Jahren im Entstehen ist, vollends seinen Durchbruch feiern. Darunter ist eine Wirtschaftswelt zu verstehen, die geprägt ist durch offene Unternehmensgrenzen, netzwerkbasierten Organisationsformen und projektbasierten Arbeiten. Für talentierte Projektmenschen bietet es die Chance, ihre individuelle Kreativität und Innovationskraft auszudrücken: Keine nervigen Chefs, keine Routinearbeiten. Dafür ständiger Wandel, Freiheit und die Möglichkeit, das eigene Netzwerk zu erweitern und die Employability zu erhöhen. Doch nicht alle Menschen bringen die gleichen Voraussetzung mit, in dieser Welt zur reüssieren. Was ist, wenn die Digitalisierung tatsächlich einen Grossteil der heute bekannten Berufsbildern wegrationalisiert?
Sozialpolitische Errungenschaften
Als dritte Herausforderung sehe ich die Bewahrung der sozialpolitischen Errungenschaften der Schweiz. An einer anderen Stelle habe ich bereits argumentiert, dass die Digitalisierung neben dem unaufhaltsamen demographischen Wandel die Herausforderung für unser Sozialsystem sein wird. Inwiefern unterwandern Grosskonzerne der Digitalwirtschaft und eine mögliche neue Stratifizierung der Gesellschaft (neue Gruppe der global-mobilen Projektmenschen) die gesellschaftliche Solidarität und soziale Kohäsion? Wie kann das Sozialsystem in das digitale Zeitalter überführt und gesichert werden?
Zusammengefasst: Statt über eine Konzernverantwortungsinitiative zu diskutieren, die vor allem das Ausland betrifft, müssten wir das Verhältnis von Unternehmen, Gesellschaft und Bürgern im Inland neu verhandeln.